Lutherweg Eisleben – „Luther und das Fremde“

Wettbewerb, IBA Stadtumbau

„Luther und das Fremde“, zudem verortet am Jüdenhof, ist wohl das heikelste Thema des Lutherweges.
Luthers extrem judenfeindliche Einlassungen in den späten Lebensjahren, seine radikale Haltung gegenüber „Andersdenkenden“ werfen grundsätzliche Fragen zu Gewalt und Toleranz im Weltbild Luthers auf, die für uns Heutige nichts an Aktualität eingebüßt haben.
Eigenart des Fremden ist Nähe und Ferne zugleich. Das Fremde wird nur in der Nähe wahrgenommen, es lebt unter uns und wir müssen uns zu ihm in Beziehung setzen. Differenz und Andersartigkeit bleiben jedoch bestehen. Versuche, uns das Fremde durch bloße Assimilation anzuverwandeln, scheitern in der Regel. Dies gilt für die Thematik gesellschaftlicher und sozialer Integration ebenso, wie für das Verhältnis zu Gott. Auf letzteres weist Luther mehrfach hin, indem er die Unergründlichkeit von Gottes Wegen, das Moment des Fremden und Unverständlichen in Gott betont, zu dem man sich nicht kognitiv sondern nur im Glauben verhalten kann. Toleranz bedeutet zunächst, Andersartigkeit zu akzeptieren und mit ihr umgehen zu können, ohne sie in jedem Falle verstehen zu müssen und den „fremden“ Blick auf unser eigenes Sozialverhalten auszuhalten.

Ausgehend von diesen Gedanken wird in der Gasse zum Jüdenhof eine fremde und vielleicht auch befremdliche Situation geschaffen. Die Gebäude werden einheitlich weiß gestrichen, einschließlich aller Fenster, Türen, Tore und Schmuckelemente. In der sonst durch feine Nuancen geprägten Altstadt findet eine Ent-Individualisierung statt. Die Gasse wird zum Fremden „an sich“, so wie „das Fremde“ nicht als Individuum wahrgenommen wird, sondern als Kategorie mit allgemeinen Eigenschaften. Betritt man die Gasse von der Glockenstraße her, spannt sich an deren Ende ein Gitter über die Straße – in Erinnerung an jene Gitter, die einst den Jüdenhof von der übrigen Stadt abtrennten; ein starkes Symbol der Ausgrenzung.
Die horizontalen Stäbe des Gitters erweitern sich über die weißen Fassaden und betonen damit die Künstlichkeit und Andersartigkeit der räumlichen Situation. Das Gitter aber beruht auf einer optischen Täuschung. In der Annäherung, beim Durchschreiten der Gasse, löst sich das Gitter langsam auf, in eine Komposition dynamischer Stäbe, die als räumliches Gebilde in der Gasse hängen. Diese abstrakte Komposition will als Appell für Toleranz gelesen werden. Nur durch Annäherung können Grenzen aufgehoben werden, Dinge sind beim näheren Hinsehen nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.
Dennoch bleibt ein Moment des Bedrohlichen unter den schwebenden Stäben, Symbol dafür, dass wir unsere Angst vor dem Fremden nicht verdrängen dürfen, sondern lernen müssen, sie in unseren Alltag zu integrieren, ohne davon paralysiert zu werden.

in Zusammenarbeit mit Prof. R. Niebergall